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Titel
Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten 1886-1937


Autor(en)
Rürup, Miriam
Reihe
Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, 33
Erschienen
Göttingen 2008: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
502 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Ruth Jakobs

Zackig, schneidig, mit Schmiss und Degen. Jüdische Studentenbünde unterschieden sich äusserlich kaum von nichtjüdischen. Ihre spezifisch deutsch-jüdische Geschichte zwischen Kneipe und Paukboden zu erforschen hat sich Miriam Rürup in ihrer Dissertation zur Aufgabe gemacht. Sie betrachtet diese Form jüdischer Sozietät von den Anfängen in den 1880er Jahren bis zu ihrem erzwungenen Ende 1937. Dabei lässt sie ihre Arbeit methodisch um den Begriff «Ehre» kreisen und schliesst bewusst an Ute Freverts Werk «Ehrenmänner» an. Die Beschreibung des Wandels der Ehre in jüdischen Studentenverbindungen erfolgt als Teil der Historischen Anthropologie und rekurriert vor allem auf das Konzept der Habituierung und des symbolischen Kapitals von Pierre Bordieux.

Eine erstaunliche Quellenfülle hat Miriam Rürup zusammengetragen, unter anderem in Jerusalem (Central Archive for the History of the Jewish People, Central Zionist Archives und Leo Back Institute) und in den Universitätsnachlässen verschiedener Staatsarchive (Universitäten Marburg, Hamburg, Frankfurt a. M., Freiburg, Giessen, Heidelberg und
Leipzig).

Sie gliedert ihre Arbeit in acht Teile, die thematisch geordnet sind. Nach einer detaillierten Einleitung betrachtet sie im zweiten Kapitel zunächst das akademische Umfeld der studentischen Verbindungen und entfaltet dabei die Matrix der Arbeit, die konventionell auf den Gegensatzpaaren Assimilation und Zionismus sowie Emanzipation und Antisemitismus basiert. Dabei beschreibt sie den Weg der Verbindungen aus der Abwehr des Antisemitismus in eigenständige und selbstbewusste Korporationen, die sich nach der Jahrhundertwend in zwei Lager trennten. Den Kartell-Convent (gegr. 1896) ordnet sie dem emanzipatorischen Lager zu, den Bund Jüdischer Corporationen (gegr. 1901) und das Kartell Zionistischer Verbindungen (gegr. 1906), vereinigt 1914 zum Kartell Jüdischer Verbindungen, dem zionistischen Lager. Neben diesen schlagenden Verbindungen gründeten orthoprax lebende Studenten in einigen Universitätsstädten nichtschlagende Verbindungen, die die studentischen Traditionen ablehnten und sich 1906 zum Bund Jüdischer Akademiker zusammenschlossen.

Das dritte Kapitel betrachtet die Selbstverortung. Der Diskurs über die Zugehörigkeit entspann sich dabei einerseits aus der Frage der deutsch-nationalen und jüdisch-nationalen Bindung, andererseits aus dem Integrationszwang «ostjüdischer» Migranten.

Im vierten Kapitel widmet sich Rürup dem Ehrbegriff und den Formen, die Ehre symbolisierten. Dazu fächert sie «Ehre» als Diskursinhalt, als Ritual und als Ziel der Verbindungsaktivitäten auf. Das fünfte Kapitel behandelt die äusseren Symbole der jüdischen Verbindungen: ihre Farben, die grossen Feste und kleinere Geselligkeiten und schliesslich die Lieder. Im Fokus des sechsten Kapitels stehen Schulung und Bildung. Unter das siebte Kapitel greift Rürup aus dem Kreis der Studenten in deren nächste Umgebung. Darin betrachtet sie Antisemitismus als Handlungsmotiv und Diskursinhalt, daneben die jüdischen Studenten als Akteure und Betroffene der universitären Selbstverwaltung, schliesslich ihre Beziehung zu den grossen jüdischen Organisationen, dem Centralverein, den Gemeinden und den zionistischen Verbänden.

Rürup beginnt ihre Erzählung mit einer Darstellung der tiefen Verbundenheit ehemaliger Mitglieder zu ihren «Farben», obwohl gerade diese Form der Gemeinschaft den Nährboden für den modernen Vernichtungsantisemitismus gebildet habe. Ihre Verwunderung darüber löst die Autorin am Ende der Untersuchung nicht auf, sondern vereint sie mit ihrem Befremden über die aristokratisch orientierte Ehrkultur der jüdischen Studenten und ihrer von Rürup als anachronistisch bezeichneten, aber eher archaisch anmutenden Rituale. Ihre überdies axiomatische Betrachtung von Juden als re-agierenden und segregierten Teil der deutschen Gesellschaft zieht sich durch das gesamte, ansonsten grundständig recherchierte Werk.

Trotz dieser betonten Distanz fördert Rürup bemerkenswerte Ergebnisse zutage. Die Orientierung der jüdischen Studenten in die nichtjüdische Welt war wesentlich geringer als in die jüdische. Satisfaktionen wurden häufiger von Mitgliedern anderer jüdischer Studentenverbindungen gefordert als von Nichtjuden. Dies lag vor allem an der Verweigerung der Satisfaktionsfähigkeit durch die in Teilen antisemitisch geprägten nichtjüdischen Verbindungen. Die jüdischen Studentenverbindungen gaben sich Formen, die in zunehmendem Masse den traditionellen schlagenden Burschenschaften entsprachen. Erst in den 1920er Jahren, als der Allgemeine Deutsche Waffenring den jüdischen Verbindungen die Satisfaktionsfähigkeit absprach, gewannen alternative Aktivitäten wie das Turnen an Bedeutung.

Während sich die im Kartell Convent vereinten Studenten an die Rituale nichtjüdischer Verbindungen anlehnten, gaben die zionistischen Verbindungen den Ritualen teilweise jüdische Bedeutungen. So gaben sie den feierlichen Kommersen eine jüdische Interpretation als «Makkabäerfeiern». Die Bildungsinhalte der im Kartell-Convent vereinten Verbindungen konzentrierten sich vor allem auf die jüdische Religion, während sich die Inhalte der zionistischen Verbindungen des Bund Jüdischer Corporationen auf die Staatsgründung in Palästina ausrichteten. Antisemitismus spielte als Thema eine untergeordnete Rolle.

Die Liste der Verbindungsstudenten – ob zionistisch oder nichtzionistisch liest sich als Who is Who des deutschen Judentums. Politische, wissenschaftliche und ökonomische Grössen erlebten ihre akademische Zeit in den jüdischen Korporationen. Neben dem Abwehrkampf gegen Antisemitismus, der den Ursprung der jüdischen Verbindungen bildete, gehörte demnach die Elitenbildung zur Hauptfunktion der jüdischen Studentenbünde. Inwieweit diese akademische Elite den nachfolgenden Studentengenerationen wieder als Vorbild diente, ja die jüdischen Studenten ihr Ehrgefühl unter anderem auf den zweifellosen akademischen Erfolg ihrer Glaubensangehörigen rekurrierten, müssen weitere Untersuchungen klären.

Es verblüfft, dass sich die religiösen Themen der 1880er und 1890er Jahre nicht in den Verbindungen spiegelten. Die jüdische Religion war zwar Zutrittskriterium und Bildungsinhalt, jedoch offenbar nicht Gegenstand konträrer Debatten.

Wie Rürup am Ende selbst konzediert, erweisen sich die statischen Begriffe Assimilation – Zionismus sowie Emanzipation – Antisemitismus als ungünstig für die Beschreibung eines ereignisreichen Zeitraumes, den die Autorin als die «lange Jahrhundertwende» bezeichnet. Gerade ihre Untersuchung belegt, dass die Begriffe nicht Konstanten bilden, sondern vielmehr einem dynamischen Wandel unterworfen waren.

Insgesamt ist es Miriam Rürup gelungen, die Verbandsgeschichte jüdischer Studentenkorporationen detailliert zu rekonstruieren. Sie hat damit einen grossen Schritt in die Erforschung der jüdisch-akademischen Elite und deren äusseren wie inneren Handlungsnormen und –bedingungen unternommen.

Zitierweise:
Ruth Jakobs: Rezension zu: Miriam Rürup, Ehrensache. Jüdische Studentenverbindungen an deutschen Universitäten 1886–1937 (=Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden, Bd. 38), Göttingen, Wallstein, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 104, 2010, S. 531-533

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